Brief zum Feministischen Streik Wald 2023

Frauenstreik 2023

Liebe Frauen von FRAUEN Wald

In den letzten Tagen hatte ich sehr viel zu tun. Als Teil einer kleinen Gruppe von engagierten Frauen unterschiedlichen Alters aus dem Therapie-, Coaching- und IT – Bereich organisieren wir hier in Wald zum nationalen Frauenstreiktag eine Aktion.

Was uns im kleinen Organisationskomitee verbindet; wir alle haben Kinder grossgezogen, sind zum Teil noch mitten drin oder ganz am Anfang dieser wunderbaren Lebensaufgabe. 

Wir sind alle parteilos und bewegen uns, je nach politischen Themen, mal hier und mal da.

Im Vorfeld hatte ich die Möglichkeit, mit unterschiedlichen Frauen zu sprechen und bei ihnen die Meinung zum nationalen feministischen Frauenstreik einzuholen. Ihre Ansichten fielen unterschiedlich aus, doch zwei Fragen wurden mir häufig gestellt.

  • Braucht es heute noch einen Streiktag?
  • Bringt so ein Streiktag die gewünschte Veränderung, um die Anliegen der Frauen durchzusetzen?

Auf diese zwei Fragen möchte ich näher eingehen.

Frage 1 – Braucht es heute noch einen Streiktag?

Wir denken ja, seit dem 14. Juni 1981, sind die Frauen gegenüber Männern gesetzlich gleichgestellt. In der Realität haben wir heute weiterhin ein Lohngefälle zwischen Mann und Frau. Wir finden, Frauen haben heute mehr Rechte als vor 20 Jahren. Heute engagieren sich deutlich mehr gewählte Frauen in politischen Ämtern. Trotzdem ist es eine Tatsache, dass viel Frauen nach wie vor für die Gesellschaft den weit höheren Anteil an unbezahlter Arbeit leisten. Zudem ist wissenschaftlich belegt, dass Berufe mit hohem Frauenanteil schlechter bezahlt sind.

Respekt gegenüber Frauen und Mädchen fehlt nach wie vor in der Wertschätzung und Lohngleichheit

und gegenüber ihren Lebensentwürfen. In der Schweiz werden Frauen und Mädchen drei Mal häufiger Opfer von Tötungsdelikten als Männer und Jungen.

Opfer von vollendeten Tötungsdelikten in den Jahren 2009-2021 wurden:

329 Personen, 74,8% davon waren Frauen und Mädchen, 25,2% Männer und Jungen».[1]

«Achtzig Prozent der Frauen im erwerbsfähigen Alter in der Schweiz sind berufstätig. Dies ist im internationalen Vergleich ein hoher Wert. Oftmals arbeiten Frauen jedoch in schlecht bezahlten Berufen im Gesundheits- und Sozialwesen, im Verkauf, im Hotel- und Gaststättengewerbe oder in der Reinigung. Gerade während des Lockdowns in der Corona-Krise ist das Paradox sichtbar geworden, dass gerade diese menschenzentrierten Tätigkeiten besonders schlecht abgegolten werden».[2]

Wollen die Frauen nach ihrem ersten Kind in ihren Berufspositionen bleiben, führt das zu einer Doppelbelastung, für Frauen und Männer, die diese Familienform wählen.

„die dreijährige Anna und ihre 8 monatige Schwester Ida werden von der KITA in Wald an zwei Tagen pro Woche betreut. Ihre Eltern arbeiten beide in der  IT – Branche und verdienen gut. Die Kosten pro Monat belaufen sich auf 2006 Franken. Beide Eltern arbeiten Teilzeit und teilen sich die Kinderbetreuung für die restlichen Tage auf“.[3]

In Anbetracht dieser enormen Summe ist nicht verwunderlich, dass Frauen ihre Erwerbsarbeit aufgeben. Oftmals ändern sie ihre Anstellungen, arbeiten in anderen Funktionen und in generell tiefen Teilzeitanstellungen. Viele Familien können sich trotz Subventionen externe Kinderbetreuungen nicht leisten.

Eine Studie der Berner Fachhochschule zeigt am Beispiel des Kantons Bern, dass lediglich zwölf Prozent der erwerbstätigen Paare ein egalitäres Doppelversorgermodell praktizieren. Dies liegt auch an einem lückenhaften Angebot an bezahlbaren Kitas und Tagesschulen. Die Kosten für die externe Betreuung von Kindern sind in der Schweiz so hoch wie in keinem anderen OECD-Staat. Mancherorts fehlen finanziell stark subventionierte Plätze für Haushalte mit niedrigen Einkommen. So verwundert es nicht, dass im Schweizer Durchschnitt lediglich knapp vierzig Prozent der Haushalte mit Kindern unter zwölf Jahren eine institutionelle Kinderbetreuung in Anspruch nehmen. Fehlende bezahlbare Betreuungsmöglichkeiten, aber auch Öffnungszeiten, die sich an Bürozeiten orientieren, tragen dazu bei, bestehende sozioökonomische Ungleichheiten zu zementieren. Sie erschweren insbesondere vielen Frauen eine autonome Einkommenssicherung».[4]

Durch Berufsarbeit, Kinderbetreuung, Aktivitäten in der Wohngemeinde, das Halten und Erneuern von sozialen Kontakten und das Organisieren von Familienfesten und Geburtstagen sind Frauen oftmals an der Grenzen ihrer Belastbarkeit. Frauen müssen heute vielseitig ausgebildet sein, um dem gängigen modernen Frauenbild zu entsprechen. Die Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach legt den Finger in die Wunden eines Systems, das von Frauen alles erwartet – ohne entsprechende Wertschätzung. In ihrem Buch „Wider der weiblichen Verfügbarkeit – Die Erschöpfung der Frauen“[5] beschreibt sie:

„Frauen können heute berufstätig sein, Karriere machen, in die Politik gehen, sie können Sex mit verschiedenen Partner:innen haben und ein emanzipiertes Leben führen. Das bedeutet aber auch: Von ihnen wird nun Perfektion in verschiedenen Bereichen erwartet. Der Druck es allen recht machen zu müssen, und das Gefühl, anderen etwas schuldig zu sein, haben nicht abgenommen. Im Gegenteil.

Mädchen und Frauen wird heute die Fähigkeit attestiert, ihr Leben aktiv in die Hand zu nehmen und sich von Problemen nicht abschrecken zu lassen – es wird gerade von ihnen erwartet. Das Mädchen- und Frauenbild von heute ist stark, sexy, selbstbewusst, schlau, schlank, sexuell aktiv und aufgeklärt, gut gebildet, berufsorientiert, cool, selbstständig, aber auch lieb und sozial“.

Eine Gesellschaft, die ein solches Frauenbild gestaltet, überfordert die Mädchen und Frauen. Diesen Ansprüchen zu genügen, setzt vor allem junge Frauen unter einen enormen Druck. Der Anstieg von Klinikeinweisungen bei jungen Frauen hat in den letzten beiden Jahren deutlich zugenommen. Das zu verändern, kann nicht mit einem Schritt zurück gemacht werden. Frauen wieder vermehrt im Haus und in der Kinderbetreuung zu halten, da es ja eventuell ihrer Natur entspricht, ist keine Lösung.

Denn vorwiegend wird die Care-Arbeit von Frauen geleistet.  Care-Arbeit umfasst alle Tätigkeiten wie Kinderbetreuung oder Altenpflege, aber auch familiäre Unterstützung, häusliche Pflege oder Hilfe unter Freunden.

Wir fordern in der sogenannten Care-Arbeit eine gerechtere Aufteilung zwischen Frau und Mann und neue finanzielle Ausgleiche.

«Spätestens nach der Geburt des ersten Kindes reduzieren vornehmlich die Frauen, deren Lohn oft tiefer ist als jener ihres Partners, ihr Arbeitspensum und verrichten stattdessen umso mehr unbezahlte Haus- und Betreuungsarbeit. So wenden Mütter mit Partner und jüngstem Kind unter 15 Jahren trotz kleiner Fortschritte in der Arbeitsteilung immer noch fast doppelt so viel Zeit für Haus- und Betreuungsarbeit auf wie die Väter (30,2 Stunden gegenüber 17 Stunden). Bei der Kinderbetreuung investieren Mütter rund die Hälfte mehr Zeit als die Väter (22,3 Stunden gegenüber 14,7 Stunden pro Woche). Oft kommt noch die Betreuung älterer Angehöriger dazu, die ihr Leben so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden verbringen möchten».[6]

Die Armut in der Schweiz betrifft Familien, Erwerbstätige im Tieflohnsegment, Alleinlebende und insbesondere geschiedene und alleinstehende ältere Frauen.

Darum gehen wir auf die Strasse, zeigen uns und setzen uns für die nationalen Forderungen ein, die sind unter https://www.14juni.ch/ detaillierter nachzulesen.

Finanzielle und gesellschaftliche Aufwertung der Arbeit von Frauen

«Lohnarbeit muss existenzsichernd sein. Da die soziale Sicherheit in der Schweiz vorwiegend an die Erwerbstätigkeit gekoppelt ist, muss auch dafür gesorgt werden, dass die Menschen ein Recht auf eine existenzsichernde und würdige Arbeit haben. Dass menschenzentrierte Tätigkeiten wie Pflege und Betreuung viel schlechter abgegolten werden als etwa solche in der Finanzbranche, darf nicht sein».[7]

Respekt statt Sexismus am Arbeitsplatz

Sexismus in der Öffentlichkeit, in den Schulen und am Arbeitsplatz muss Konsequenzen haben.  Unsere Töchter und Söhne sollen in einer Welt mit freier Wahl ihre sexuelle Orientierung leben.

Frauen, transsexuelle Frauen und non-binäre Menschen müssen unabhängig von

ihrer sexuellen Orientierung respektiert werden.

Mehr Zeit und Geld für Betreuungsarbeit

Umsetzung der Lohngleichheit. Und wir fordern gezielte Lohnerhöhung in Branchen mit tiefen und mittleren Löhnen mit hohem Frauenanteil.

Flächendeckende monatliche Mindestlöhne von 4’500 Franken und von 5’000 Franken bei abgeschlossener Berufslehre sind Pflicht. 

Anständige und existenzsichernde Renten ohne weitere Rentenalter-Erhöhungen.

Planbare und familienkompatible Arbeitszeiten statt Arbeit auf Abruf und ständige Erreichbarkeit.

Kürzere Arbeitszeit: Vollzeit von 30 bis max. 35 Stunden pro Woche statt Teilzeitfalle und Unterbeschäftigung.

«Ausserdem bedarf es Arbeitsmodelle, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern. Die Wirtschaft kann hier eine wichtige Vorreiterrolle übernehmen in der Einführung von Elternzeit und tieferen Wochenarbeitszeiten für Arbeitnehmende mit tieferem Lohn und Betreuungsaufgaben. Dazu muss das Angebot an familienexterner und schulergänzender Kinderbetreuung die Nachfrage decken. Für armutsbetroffene Familien müssen die Angebote kostenlos sein».[8]

Die Kinderbetreuung soll als Service Public organisiert werden. Die Finanzierung der Care-Angebote muss durch öffentliche Gelder erfolgen.

2. Frage – Bringt so ein Streiktag die gewünschte Veränderung, um die Anliegen der Frauen durchzusetzen?

Ja. Frauen bewirken etwas, indem sie sich in der Öffentlichkeit für ihre Anliegen einsetzen. In den letzten 105 Jahren ist doch einiges in Richtung Chancengleichheit passiert. Doch 105 Jahre ist eine sehr lange Zeit, sind drei Generationen. Die Umsetzung der Chancengleichheit in der Schweiz braucht sehr viel Zeit. 

1918 fand der dreitägige Generalstreik statt. Unter den damals neun Forderungen entsprach das Stimmrecht für Frauen der zweiten Forderung.

Daraufhin wurde in einigen Kantonen über das Frauenstimmrecht abgestimmt – mit klarem Nein als Abstimmungsresultat.

Im Sommer 1928 fand die schweizerische Ausstellung zur Frauenarbeit statt. Ein Umzug wurde organisiert. Frauen zogen eine Schnecke auf Räder und machten somit auf die Langsamkeit in Bezug auf das Bedürfnis des Stimm- und Wahlrechts für Frauen aufmerksam. Diese Aktion wurde damals heftig kritisiert.

Am 1 Februar 1959 fand die erste Volksabstimmung über das eidgenössische Frauenstimmrecht statt und scheiterte erneut klar am Volks- und Ständemehr. Nur in den welschen Kantonen Waadt, Genf und Freiburg fand das Frauenstimmrecht eine Mehrheit. Die aktiven Frauen wehrten sich mit verschiedenen Streiks und Aktionen in der ganzen Schweiz dagegen. Einige Kantone nahmen das Frauenstimmrecht auf, Zürich folgte im November 1970.

1969 fand der sogenannte Marsch auf Bern statt. Über 5000 Männer und Frauen forderten das eidgenössische Stimmrecht für Frauen. Sie wurden unter anderem von konservativen Frauenbewegungen unterstützt. Emilie Lieberherr forderte die Gleichstellung von Mann und Frau als unbedingte Voraussetzung für die Einhaltung der Menschenrechte.

1971 stimmten die Männer in der Schweiz wiederum über das eidgenössische Frauenstimmrecht ab. Diesmal war die Abstimmung erfolgreich. Daraufhin wurden im selben Jahr 11 Frauen in den Nationalrat gewählt. Das entsprach einem Frauenanteil von 5.5 Prozent.

Am 14. Juni 1981 fand eine eidgenössische Abstimmung statt. Der Bundesrats-Vorschlag zur Gleichberechtigungsinitiative wurde vom Volk und den Ständen angenommen. Der Grundsatz der Gleichstellung von Mann und Frau wurde in der Verfassung verankert.

Am 14. Juni 1991 gingen Hunderttausende nach dem Motto «wenn Frau will steht alles still» auf die Strasse. Anlass war das 10-jährige Jubiläum der Annahme des Verfassungsartikel «Gleiche Rechte für Mann und Frau». Dieser Streik zeigte den Unmut der Frauen über die zögerliche Umsetzung der Gleichstellungsthemen. Dieser Streik war die grösste politische Mobilisation der Schweiz seit dem Landes- und Generalstreik 1918.

Auswirkungen: Am 3. März 1993 wählte die Bundesversammlung statt der nominierten Kandidatin Christiane Brunner einen Mann in den Bundesrat. Die Frauen griffen auf die Netzwerke der Streikorganisation zurück und lösten eine schweizweite Protestbewegung aus. Der gewählte Francis Matthey trat zurück und verzichtete auf seine Wahl. Die Bundesversammlung wählte die Gewerkschafterin Ruth Dreifuss. Bei allen folgenden Wahlen wurden die Frauenanteile in den kantonalen und kommunalen Parlamenten sichtbar erhöht. Diese Ereignisse wurden als «Brunner-Effekt» bezeichnet. Eine längerfristige Folge war die verstärkte Kooperation von engagierten Frauen über Parteigrenzen hinweg.

Am 14. Juni 2011 fand ein Frauenaktionstag statt, getragen von über 50 Organisationen. Erstmals beteiligten sich der Bäuerinnen- und Landfrauenverband. An diesem Tag wurde erinnert, dass insbesondere die Angleichung der Löhne auch nach 20 Jahren nicht erfüllt wurde.

Am 14. Juni 2019, 28 Jahre nach dem ersten grossen Frauenstreik, demonstrierten im ganzen Land wiederum 500 000 Menschen für die Gleichstellung unter dem Motto «Wenn Frau will steht alles still». Die Lohngleichheit war neben der Bekämpfung von Sexismus und sexueller Gewalt, höherer gesellschaftlicher Anerkennung von Frauenarbeit und höherer Subventionen für Betreuungsarbeit die zentrale Forderung.

Auswirkungen: Bei den Wahlen vom 20. Oktober 2019 wurden erstmals mehr «neue Frauen» als «neue Männer» in den Nationalrat gewählt. Mit 84 Frauen im Nationalrat erreichte ihr Anteil erstmals 42 Prozent. Was die Vertretung von Frauen in der Regierung anbelangt holte die Schweiz Im internationalen Vergleich von Platz 38 in 1991 gegenwärtig auf Platz 15 auf.

Am 14.06.23 findet ein nationaler feministischer Streik statt. Das Motto lautet

«Lohn – Zeit – Respekt».

Zurück zur oben gestellten Frage, bringt ein Streiktag die gewünschte Veränderung, um die Anliegen der Frauen durchzusetzen?

Wir finden ja, langsam aber stetig, Schritt für Schritt, wurden die Frauenanliegen auf Gleichberechtigung teilweise umgesetzt. 

Darum laden wir alle interessierten und friedlichen Menschen ein, mit uns am kommenden Mittwoch in Wald ein Zeichen zu setzen.

Ich wünsche euch allen eine gute Zeit

Herzlich Susanne Kieser


[1] https://www.ebg.admin.ch/ebg/de/home/themen/haeusliche-gewalt/statistik.html

[2] https://www.caritas.ch/de/frauenarmut-hat-strukturelle-ursachen/

[3] Junge Familie aus der Gemeinde Wald

[4] https://www.caritas.ch/de/frauenarmut-hat-strukturelle-ursachen/

[5] Die Erschöpfung der Frauen, Seite 14, Droemer Verlag 2021

[6] https://www.caritas.ch/de/frauenarmut-hat-strukturelle-ursachen/

[7] https://www.caritas.ch/de/frauenarmut-hat-strukturelle-ursachen/

[8] https://www.caritas.ch/de/frauenarmut-hat-strukturelle-ursachen/